Alleinerziehend 2 Kinder adoptieren?

Im August 2009 saß ich auf einer Dienstreise in China am Wuxi-See und dachte, beruflicher Erfolg kann doch nicht alles sein. Seit langer Zeit, eigentlich immer, wünschte ich mir Kinder, aber mit Beziehungen tat ich mich schwer.

 

Seit fast einem Jahr wusste ich, dass ich auf natürlichem Weg nicht schwanger werden könnte und das Thema Adoption beschäftige mich schon seit ich in Sumatra eine Deutsche getroffen hatte, die 2 Tsunami-Waisen aufgenommen hatte. Da fing ich in der Ferne an im Internet zu recherchieren, welche Optionen es für alleinstehende Frauen gibt und schrieb direkt Help a child an. Am Wochenende nach meiner Rückreise nahm ich an dem Bewerber Info-Seminar teil. Das war so überzeugend, dass ich schon auf der Heimfahrt klar wusste, ja das ist mein Weg. Da ich damals erst 34 Jahre alt war, ließ ich mir mit dem Bewerberprozess über 1 Jahr Zeit.

Ich fand die Gespräche mit den Sozialarbeiterinnen und der Psychologin nie anstrengend oder lästig, im Gegenteil, ich fand es gut, ausführlich über diesen Plan und mich selbst zu reflektieren. Im Dezember 2010 ging meine Akte nach Haiti und am 2. Februar bekam ich auf einer Dienstreise in Avignon im Parkhaus den Anruf, ein 5 Monate altes Mädchen mit leichten körperlichen Beschwerden braucht eine Mama. Im Hotelzimmer telefonierte ich mit meiner Sachbearbeiterin und las voller Aufregung die Dokumente und starrte auf die 3 Fotos meiner Tochter.

Schon einen Monat später befand ich mich auf der Reise meines Lebens. 4 Tage Aufenthalt im Kinderheim Maison des Anges, noch als Notunterkunft wegen des Erdbebens 1 Jahr vorher, ich in der Garage mit 4 Galonen Wasser, wenn die Dusche ausfiel. Meine kleine (heute große) Tochter war nachts ständig wach und weinte viel und hatte offensichtlich auch Atemprobleme. Der Abschied war wahnsinnig schwer und nach der Rückkehr nach Deutschland habe ich 3 Tage durchgeweint, weil es ihr auch nicht so gut ging. Zum Glück konnte ich schon im Juni wieder losfliegen und sie in die Arme schließen.

Die 2 Wochen die wir noch wegen des Visums in Haiti bleiben mussten (der ganze Adoptions-Prozess war damals noch anders), ging es ihr vor allem nachts sehr schlecht und sie weinte viel. Wie sich 4 Monate später in Deutschland herausstellte, hatte sie eine Kuhmilcheiweiss-Allergie, eine Fruktose-Intoleranz und eine Tracheomalazie. Alles Dinge, die in dem Elternzeitjahr gut auskuriert werden konnten, aber dort vor Ort Eltern und Heimleitung überfordert hatten. Ihren ersten Geburtstag konnten wir dann schon in Deutschland feiern und mittlerweile ist sie ein kerngesundes großes, bald 11-jähriges Mädchen, das mich wahnsinnig stolz macht.

Über Geschwister hatte ich die ersten 3 Jahre nicht nachgedacht, weil meine große Tochter wahnsinnig anhänglich und nachts auch sehr fordernd war. Nochmal 4 Jahre ohne Nachtschlaf, konnte ich mir lange nicht vorstellen. Im Februar 2014 war ich beruflich, trotz alleinerziehend auf einem Höhepunkt angelangt und privat lief alles super mit Kind. Es hieß, dass die Adoptionsprozesse im Moment sehr viel länger dauern und ich beschloss diesen jetzt doch nochmal zu starten, da ich dies nicht später bereuen wollte, nicht wenigstens versucht zu haben.

Diesmal sollte es 4,5 Jahre werden und am Ende war ich auch schon kurz vorm Aufgeben. Im Mai 2018 kam der Anruf, ein kleines 1-jähriges Mädchen mit ähnlicher Familiengeschichte und „Abgabe-Geschichten“, und auch wieder mit einer medizinischen nicht ganz unproblematischen Vorgeschichte. Überraschenderweise kein Junge, obwohl das deutsche Jugendamt dies so vorgeschlagen hatte. Aber bei 7 Jahren Altersunterschied ist dann auch wirklich kein Konkurrenzproblem zwischen 2 Mädchengeschwistern mehr.

EIne Woche vor den Sommerferien flogen wir über Canada nach Haiti und verbrachten 2 Wochen mit überraschend viel Programm wieder im Maison des Anges. Meine Mädchen waren schon nach einem Tag ein Herz und eine Seele, meine Große war eher auf mich eifersüchtig als auf die kleine zuckersüße Schwester. Meine große Tochter saugte alle Eindrücke auf wie ein Schwamm, ich glaube ihr wurde erst vor Ort bewusst, welcher Teil ihrer Identität ihr bisher gefehlt hat. Meiner Kleinen ging es wesentlich besser als damals meiner Großen im Heim, sie hatte viele Arme, die sie ständig rumtrugen oder kuschelten und 2 ganz tolle Kinderfrauen, die sich wirklich toll um sie kümmerten. Deswegen war der Abschied diesmal schwer, aber nicht so herzzerreißend wie 7 Jahre vorher.

Zwei Tage nach unserer Abreise gingen die Unruhen los und ich war sehr froh wieder in Deutschland zu sein. Ich machte mir natürlich viele Sorgen, aber das Heim war zum Glück nie so stark betroffen, dass ein Versorgungsnotstand entstand. Das Warten war zäh, insbesondere die letzten 6 Wochen, aber Weihnachten 2018 konnten wir endlich in den Flieger steigen und landeten Silvester 2018 pünktlich wieder in Deutschland. Meine kleine Tochter war bereits in Haiti schon krank mit Fieber und es entwickelte sich gerade ein Abszess am Oberkörper, der direkt nach der Ankunft schon nach 10 Tagen so schlimm war, dass er operativ entfernt werden musste. Es war also höchste Eisenbahn in die Nähe von guter medizinischer Versorgung gekommen zu sein. Meine kleine Tochter und ich hatten uns auch Parasiten eingefangen (Llambien), die schwere Durchfälle verursachen, als dies dann nach 6 Wochen ordentlich diagnostiziert und auch schnell ausgestanden war, ging es eigentlich nur noch aufwärts.

Ich habe mittlerweile die gesündesten Kinder der Welt. Ich sage immer, wer Cholera in Haiti gesehen hat, der lacht über einen deutschen Noro-Virus. Meine kleine Tochter entwickelt sich großartig und ist außerdem schlaftechnisch ein Anfänger-Kind (Glück gehabt). Die zweite Elternzeit war viel entspannter, weil meine große Tochter mir wirklich toll und gerne hilft und ganz verliebt in die kleine Schwester ist. Wenn die beiden zusammen auf der Couch kuscheln, kann ich oft mein Glück nicht fassen und alle Bedenken, die ich je hatte, ob ich es auch mit 2 Kindern schaffe, sind zerstreut.

Ich kann nur jeder Frau raten, die einen starken Kinderwunsch hat, diesen zu leben. Der Weg der Adoption war für mich genau der richtige. Ich bin gerne Mutter, und auch weiterhin berufstätig, sogar gern und mit Erfolg in Teilzeit, das ist kein Ausschlusskriterium, auch wenn ein Job mit vielen Dienstreisen z.B. aktuell nicht in Frage kommt. Aber man kann sich viel Hilfe organisieren und bekommt sie auch oft von Seiten, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte, z.B. durch Nachbarn oder Kindergarten-Eltern oder Kollegen. Ich bin selbst viel in der Adoptions-Community unterwegs, auch weil ich gerne meinen Kindern durch viele Ado-Kontakte eine Normalität schaffen möchte und so wundervolle Menschen kennengelernt habe, die jetzt zu meinen Freunden zählen. Meine Mädchen und ich sind angekommen, und das haben wir auch diesem tollen Verein zu verdanken, der uns unsere Familie ermöglicht hat und uns weiterhin begleitet.